Donnerstag, 5. März 2015

Hanna Fleiss zum "Tiefschlaf"


Lieber Harry,

wieder eine interessant geschriebene Rezension, auch diesmal aus der bürgerlichen Ecke, Stephan Hebel von der „Frankfurter Rundschau“ macht sich Gedanken über die deutsche Welt und das Darüberhinaus.

Deine Zusammenfassung des Sachbuches geht auf die wesentlichen Momente ein, wobei du versuchst, deine eigene Sicht draußen zuhalten. Interessanter wäre für mich aber, wenn du deine Standpunkte mit einbringen würdest, aber das ist wohl nicht dein Konzept.

Meine Ansicht zu den Hebelschen Überlegungen will ich dir aber nicht vorenthalten.

Hier äußert ein Mann aus dem bürgerlichen Spektrum der Gesellschaft Bedenken, dass es so nicht weitergehen kann und darf mit Deutschland, und dies tut er auf sehr geschickte Weise, indem er Schwachpunkte und Defizite benennt, jeder Politikinteressierte dürfte ihm zustimmen. Ja, er hat recht, wenn er meint, dass das „Weiter so“ der Regierenden über die Köpfe der Bevölkerung entschieden wurde, dass sie keinen Widerstand aufbringt gegen die unsozialen Maßnahmen, dass sie die Rationalität der Anpassung nicht durchschaut und es folglich keinen Widerstand gegen noch so große Ungeheuerlichkeiten gibt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das heute im Bundestag zu debattierende Tarifeinheitsgesetz, das den Gewerkschaften auf die kalte Tour das Recht auf Streik abwürgen wird. Und das von der Einheitspartei CDU/CSU/SPD/Grüne ganz lässig durchgewinkt werden wird. Kein Aufschrei vom DGB und selbstverständlich auch nicht von der Sozialdemokratie, wir sind eine Gesellschaft des heimlich murrenden Konsenses geworden.

Stephan Hebel will den Kapitalismus in seiner heutigen Form überwinden, das hört sich ja fast nach dem Programm der Linkspartei an, allerdings scheute die sich noch vor dem Einschiebsel „in seiner heutigen Form“. Den Kapitalismus überwinden – eine schöne Vorstellung. Rechnet er mit einer Revolution? O nein, Gott bewahre, nur ein bisschen Widerstand sollte es schon geben, die angepassten Deutschen erscheinen ihm vielleicht etwas zu widersinnig, allzu schafsmäßig.

Hebel gehört zu dem intelligenteren Teil der bürgerlichen Fraktion, der elastisch an das Problem herangeht, nicht auf Konfrontation setzt, sondern ganz ähnlich wie einst Rathenau nach dem ersten Weltkrieg der Revolution mit der Einbindung der rechten Sozialdemokratie in die Regierung, in den Parlamentarismus, den Boden entzog. Und die rief aus: „Der Sozialismus marschiert!“,während sie jeden sozialistischen Gedanken in der Arbeiterschaft bekämpfte. Neueres Beispiel der Sozialdemokrat Brandt mit seiner „neuen Ostpolitik“, die ja kein anderes Ziel hatte, als den Sozialismus zu erschöpfen und am Ende zu beseitigen, sozusagen die „Konterrevolution auf Filzlatschen“. Genau dieselbe Überlegung treibt den Autor Stephan Hebel, ob bewusst oder unbewusst: systemerhaltende Maßnahmen und Mittel herbeirufen, aber an den Grundlagen des Systems nicht rühren, damit nicht eine alles hinwegfegende Revolution, die wir uns heute noch nicht vorstellen können, das derzeit bestehende Deutschland beseitigt. Wobei beide Formen der Auseinandersetzung einander bedingen: das konfrontative Herangehen als Staat, der jede Äußerung seiner Bürger überwacht, die Gesellschaft militarisieren will, um Eroberungskriege zu führen, und die sozialen Rechte seiner Bürger beschneidet, wenn nicht gar beseitigt - und das anscheinend nachgebende, klügere Herangehen, das Einbinden potentieller revolutionärer Elemente. Lenin übrigens hielt die zweite Spielart der Auseinandersetzung mit dem Proletariat für gefährlicher als die erste.

Dass du diesen Gedanken in deiner Rezension nicht herausgearbeitet hast, empfinde ich als Defizit, du hast eine „neutrale“ Rezension verfasst, keine aus marxistischer Sicht. Vielleicht solltest du wirklich überlegen, in deine Rezensionen Fragen, die du dir stellst, von denen es sicher sehr viele gibt, einzubringen, um so den Hintergrund solcher sich aufmüpfig gebender Bücher zu erhellen, die mit ihrer Aufmüpfigkeit doch nur das System erhalten wollen.

In einem aber irrt sich Hebel gewaltig: Diese Bundesregierung schläft nicht, sie wurschtelt, aber sie schläft nicht, stur geht sie ihren Weg direkt in den eigenen Untergang, sobald sich die Völker ihrer eigenen Kraft bewusst sind. Wenn es momentan auch nicht so aussieht, dass das geschehen könnte. Aber Griechenland sollte ihr schon eine erste Warnung sein.

Liebe Grüße, Hanna Fleiss

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