Donnerstag, 8. Juni 2017

Wieder ein filmisches Machwerk


Von Caroline M. Buck 08.06.2017 Kultur

»Die vergessene Armee«

von Signe Astrup

Gleichschrittnostalgiker. DDR-Apologeten. Ehrverteidiger. Bürgerwehrmentalität und Rollenspielvergnügen. Unterlegenheitsgefühle, Trauer um die verlorene Jugend und unhinterfragte Ostalgie. Es ist alles vorhanden in Signe Astrups Dokumentarfilm über die Nationale Volksarmee, bald drei Jahrzehnte nach ihrer Auflösung. Oder eher: über ehemalige Volksarmisten und andere DDR-Funktionsträger, die sich zu ihrem gewesenen Staat, ihrer früheren Armee, ihren Uniformen und Insignien, Zeremonien und Helden positionieren.

Astrup, Kopenhagenerin mit Wahlheimat Berlin, wurde auf die Frage, was aus den NVA-lern wurde, als man ihre Armee redundant machte, durch einen Zeitungsbericht aufmerksam. Ein Eklat wurde da notiert, erklärt sie im Regiekommentar zu Beginn (danach übernehmen die Zeitzeugen und eine geschickte Montage die Regie), weil zum rein rechnerisch 55. Gründungstag einer längst aufgelösten Armee versprengte Angehörige anlässlich einer Gedenkveranstaltung in voller Montur durch den Tierpark Friedrichsfelde spazierten. Astrup machte sich auf Spurensuche. »Die verlorene Armee« ist das Ergebnis.

Es kommen Menschen zu Wort, für die die NVA-Karriere das kleinere Übel war. Und Überzeugungstäter, die es noch heute nicht ganz lassen können: Eine Ärztin aus Thüringen, die die DDR als den »besten Staat, den es je gab« verteidigt, weil sie woanders nie hätte Ärztin werden können. Und überhaupt: Die DDR, das war ihr Land, die darf doch jetzt nicht einfach so vergessen werden. Ein ehemaliger Grenzer und Polizist sieht heute noch auf öffentlichen Plätzen »nach dem Rechten« und nervt Streifenpolizisten mit seinem Bürgerwehrverhalten. Ein Trupp vom »Traditionsverband NVA« marschiert vor dem Treptower Ehrenmal in Berlin auf und sorgt für merkwürdigen Applaus, der den Uniformen gelten mag oder der Inszenierung selbst – eine Laientheatertruppe, die für Atmosphäre sorgt? Das war im Mai 2013, und der Auftritt hatte später noch juristische Folgen.

Seine Stasiakte, so erzählt die Filmemacherin, habe sich keiner der Interviewpartner aus eigener Initiative besorgt; für einen von ihnen holt sie das nun nach. Den Abriss des Palasts der Republik nennt einer eine Bürgerverletzung – aber Geschichte werde eben von den Siegern gemacht. Und das war nach Ansicht dieses Zeitzeugen denn wohl – die Bundesrepublik. Ein Dritter ist Textilkünstler, er näht Waffen aus Stoff. Voll flexibel, aber von Weitem täuschend echt. Vor den dezent politsatirischen Stickbildern des Künstlers stehen dann der ehemalige NVA-ler mit militärischem Haarschnitt und angedeuteter Uniform und die westdeutschen Prosecco-Trinker nebeneinander. Und der NVA-ler doziert über Fragen der Ehre – und ihre Verteidigung, die am Ende dann ja unterblieben sei. Nun ja.

Denn es gibt auch noch die, die lieber mit der Fahne um den Leib dem »Feind« zum Opfer gefallen wären, als kampflos aufzugeben. Selbst Jan B., der Textilkünstler, lässt kurz die Nadel ruhen und erzählt von der Erniedrigung, die mit dem Einkassieren des Begrüßungsgeldes einherging, für das man im Gegenzug dann ja »alles andere aufgeben« musste. Er war fünfzehn. Die Oberärztin schämt sich für die Mitbürger und Genossen, die der Bananen wegen ihren Stolz und die DDR »verrieten«. Weil es ja aussehen konnte, als habe es in der DDR nicht stets reichlich von allem gegeben, auch und gerade: Bananen.

Nun muss niemand es mögen, wenn ihm jede bisherige Gewissheit ausgeredet und aus Weiß von einem Moment zum anderen Schwarz wird, wenn nichts mehr so ist, wie man es mal gelernt hatte. Und wer unter der Flagge diente, bekam ohnehin eine doppelte Dosis ab vom Volksverteidigungswahn. Das gehört dann wohl zur Natur der Sache. Aber die Picknicks in obsoleter Uniform, die Traditionsverbände NVA, die trotzige Verschworenheit, das hilflos-nostalgische Bedürfnis, jedenfalls für Stunden noch mal zu denen zu gehören, die eifrig die Hacken zusammenschlagen und sich sagen lassen, wo es langgeht, die sind schon eher furchterregend. Einer immerhin hat heute noch ein Problem damit, dass diese Armee damals eigentlich nur auf eine Gruppe Menschen schoss: auf Republikflüchtige.


Leserbrief von Harry Popow:

Allein diese Beurteilung dieses "Dokumentarfilms" - man braucht ihn gar nicht gesehen zu haben - macht der Filmemacherin alle Ehre: Sie kommt, auch wenn sie Berlinerin geworden ist als einstige Kopenhagenerin, nicht über ihren in westlichen Gefilden „erworbenen" Blindenhass gegenüber einer Armee, die nie einen Krieg geführt hat und dem aggressiven Streben der Bonner Eliten ein gehöriges Gegengewicht bot, nicht hinaus. Statt dessen bietet sie offensichtlich ein Aufgebot an Äußerlichkeiten und diffamierenden Bildern, die nichts, aber auch gar nichts an Wahrheit enthalten. Darüber muss man nicht enttäuscht sein - so ist es halt in den bürgerlichen „Qualitätsmedien": Um des eigenen Machterhalts willen stampfen sie alles nieder, was mal nach grundsätzlicher Veränderung der Machtverhältnisse zugunsten des Volkes und im Interesse des friedlichen Miteinanders ausgesehen hat. Doch wer will das grundsätzlich bestreiten: Ein Dacapo, die Veränderung Richtung einem neuen Versuch zum Sozialismus, ist unausweichlich. Vielen Dank, Filmemacherin für ihr Machwerk.

Harry Popow, Oberstleutnant a.D. 


"Vergessene Armee“ - neue Kommentare

Hanna, 08.06.2017: Natürlich sind solche in dem Film erwähnten Spielereien peinlich. Sie erniedrigen die DDR, ob bewusst oder nicht, sie nehmen ihr die Würde, sagen nichts aus über den Charakter der DDR und ihrer Volksarmee und tragen so dazu bei, die DDR lächerlich zu machen. Und das ist das Ziel solcher Machwerke. Aber allein schon, dass die Filmregie genauso im Äußerlichen bleibt, zeigt die Angst vor dem Volk in Waffen, das sich zu verteidigen weiß. Sehr gut kann man das auch an der Geschichtsklitterung über den Spanischen Krieg 1936-38 erkennen und an der engen Zusammenarbeit der BRD mit dem Faschisten Franco in der Zeit danach. Die "Filmemacherin" bleibt in der konformistischen Rolle, die ihr die Finanzierung ihrer Sudelei garantiert.


Zitiert aus dem nd vom 08./09.06.2017:


bahn-bernd/09. Jun 2017: Die "Kritik" der Caroline M. Buck erfolgt im "Gleichschritt" mit den "Delegitimierern" der DDR und könnte in der Form und mit dem Vokabular in jeder Mainstreamzeitung erscheinen. Es geht nicht unbedingt um den Filminhalt oder den etwas unpassenden Titel für die Doku, sondern um die Einordnung der interviewten Personen als "Gleichschrittnostalgiker. DDR-Apologeten. Ehrverteidiger". Als "Überzeugungstäter, die es noch heute nicht ganz lassen können" wird u. a. eine Ärztin aus Thüringen bezeichnet, weil sie infolge der ihr gebotenen Studienmöglichkeit (als Arbeiterkind) "die DDR als den »besten Staat, den es je gab« verteidigt". Die abschließende Feststellung der Frau Buck, "dass diese Armee damals eigentlich nur auf eine Gruppe Menschen schoss: auf Republikflüchtige", spiegelt dann das aktuell gültige Geschichtsbild wieder. Das nd ist mit solchen Beiträgen im System angekommen!

Herder 68/09. Juni 2017: Caroline M. Buck. Geschichtskenntnisse, Geschichts- oder gar Klassenbewusstsein gehen solchen Leuten wie Frau Buck völlig ab. Ihnen wäre am liebsten gewesen, wenn man den Krupps und Thyssen, dem Fürst von Putbus und der ganzen feudalen Bagage mit ihrer militärischen und faschistischen Entourage den Osten des Landes „friedlich“ überlasen hätte. Wie konnte die Frau aus Thüringen oder mein Vater, Sohn eines Kutschers, es auch wagen, Abitur zu machen und zu studieren. Da muss dieser Dame und auch einigen Leuten beim ND doch noch nachträglich der kalte Schauer über soviel „unhinterfragte Ostalgie“, „Gleichschrittnostalgie“ und „trotzige Verschworenheit“ über den Rücken laufen. Ich bin auf jeden Fall den Soldaten und Offizieren der ehemaligen NVA dankbar, dass sie ihren Dienst auch in meinem Interesse, geleistet haben und zumindest für einen historischen Augenblick die Filbingers, die Gehlen und Krupps davon abhalten konnten, ihre alten Ostlandträume in die Realität umzusetzen.

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