Mittwoch, 9. August 2017

Wem nützt es? - Dr. Peter Elz


RotFuchs 235 – August 2017

Demokratie = Volksherrschaft!

Dr. Peter Elz

Als DDR-Bürger hatten wir gelernt, daß man bei allen politischen Ereignissen stets fragen sollte: Wem nützt das? Ich empfand das immer als eine hilfreiche Anleitung zur Standpunktbildung zu bestimmten Sachverhalten oder politischen Meinungen, weil sie darauf orientierte, nach Zusammenhängen zu fragen und nach den ihnen zugrunde liegenden Interessen- und Machtkonstellationen. Das ist eben mehr, als nur einzelne Elemente und Erscheinungsformen zu beschreiben. Das zeigt sich m. E. anschaulich am Beispiel des Begriffs „Demokratie“. Wenn heute über Demokratie geredet wird, dann wird – einerseits durchaus gewollt, andererseits auch nur gewohnheitsmäßig – oft nur in Schlagworten geantwortet und gedacht, nämlich „Meinungsfreiheit“, „Pressefreiheit“, „Mehrparteiensystem“, „freie Wahlen“ und anderes. Das ist alles nicht verkehrt, aber wenn man in der heutigen Realität der BRD die Frage so stellt: Und wem nützen diese Forderungen tatsächlich? dann erkennt man, daß es sich in Wirklichkeit nur um schön klingende Phrasen, also um reinen Populismus, handelt und die Wirklichkeit dabei ausgeblendet wird. Auf deutsch heißt Demokratie doch nichts weiter als „Volksherrschaft“. Wem sollte Demokratie also nützen, wenn nicht dem Volke?

Kann es aber denn wirklich dem Willen des Volkes entsprechen, wenn ein sehr geringer Teil der Bevölkerung einen übermäßigen Anteil am Volksvermögen besitzt und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht? Liegt es wirklich im Interesse des Volkes, wenn ein großer Teil der Menschen ausgeschlossen wird von der gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben insbesondere am Arbeitsleben? Wie sind solche Erscheinungen wie Zweiklassenmedizin, Bildungs­notstand, Zukunftsängste, Altersarmut usw. mit dem Gerede von „demokratischer Grundordnung“ in Übereinklang zu bringen? Wem nützen also wirklich diese „Spiel­regeln der Demokratie“? Die Erklärung liegt für mich darin, daß die reale Macht eben nicht vom Volke ausgeht, sondern von den Eigentumsverhältnissen in diesem Lande.

Privateigentum an Produktionsmitteln und Demokratie schließen sich gegenseitig aus, weil der Eigentümer nur der Zielstellung verpflichtet ist, den eigenen Profit zu sichern und zu mehren und nicht etwa dem Gemeinwohl zu dienen (obwohl die Ver­fassung dies vorschreibt). Er wird weder gewählt, noch kann er abgesetzt werden – nicht von der eigenen Belegschaft, geschweige denn vom „Volk“. Er ist also nicht demokratisch legitimiert. Man kann sagen, daß nichts diktatorischer funktioniert als privateigentümerisch geführte kapitalistische Unternehmen: Den Kapitaleigentümern steht das Recht zu, Menschen für Zwecke der Profiterwirtschaftung zu beschäftigen und auszunutzen, sie aber auch wieder auf die Straße zu setzen und sie ihrem Schicksal zu überlassen. Und das soll Demokratie, also des Volkes Wille sein?

Aber auch dort, wo die „Spielregeln“ der bürgerlichen Demokratie noch eingehalten werden, sind große Zweifel angesagt, ob sie wirklich dem Wohle des Volkes dienen.

Zunächst müssen wir zugestehen, daß das gesellschaftliche System BRD zur Zeit noch eine gewisse Stabilität aufweist. Das liegt einerseits daran, daß dieses System eine starke Wirtschaftskraft im Hintergrund hat. Andererseits aber auch daran, daß die „Spielregeln“ von vielen akzeptiert werden. Demokratie wird weitgehend als selbständiger Wert anerkannt. Gerade las ich, daß bei einer entsprechenden Umfrage 90 % der Befragten die Demokratie als beste Regierungsform betrachten. Nur die Tatsache, daß sich regelmäßig mehrere Parteien zur Wahl stellen, wird schon als eine zentrale zivilisatorische Errungenschaft angesehen. Die realen täglichen Probleme der Menschen werden einfach ausgeblendet, wenn über Demokratie geredet wird. Gründe für Probleme werden überall gesucht (schicksalhafte Einzelfälle, Bürokratie, unfähige Politiker, durchgeknallte Banker), nur nicht in dem Herrschaftssystem, das mit „Demokratie“ umschrieben wird und in Wirklichkeit Herrschaft des Kapitals ist.

Die politische Landschaft der BRD wird seit Jahrzehnten von vier bis fünf Parteien geprägt, die sich abwechselnd die Regierungs- bzw. Oppositionsarbeit teilen. Aber jeder dieser Wechsel ist praktisch immer nur kontinuierliche Fortsetzung der Politik der Vorgängerregierung. Die großen etablierten Parteien bilden sozusagen eine „Einheitsfront“, in die sich jetzt auch noch Die Linke einreihen will. Die jeweils regie­renden (bzw. oppositionellen) Parteien können sich als demokratisch legitimiert betrachten. Aber wird damit tatsächlich eine „Herrschaft des Volkes“ ausgeübt?

Nehmen wir als Beispiel die Hartz-IV-Problematik. Wem nützt Hartz IV? Nicht nur, daß damit immer mehr Menschen in Armut abgedrängt und obendrein noch gedemütigt werden, werden Niedriglöhne auch noch staatlich gestützt als Geschenke an die Unternehmen. Zum zehnten Jahrestag dieser Gesetzgebung wurde sie als großer Erfolg gefeiert, da sie die Wirtschaft angekurbelt habe. Das Wohlergehen der Wirt­schaft zählt mehr als das des gedemütigten Wahlvolkes.

So verhält es sich auch mit der sogenannten Bankenrettung. Hier wurden nicht irgendwelche anonymen Banken oder gar der Euro gerettet, sondern die Geldgeber der Banken, nämlich die Millionäre und Milliardäre, die ohnehin nicht wissen, wohin mit dem ganzen Reichtum. Deren über die Banken vermittelten Kredite an leicht­gläubige Schuldner, wie z. B. Griechenland, drohten verlorenzugehen nebst den erwarteten Zinsen. Das konnten die „demokratisch gewählten“ Volksvertreter nicht zulassen und verordneten diesen Ländern daher eine erbarmungslose Austeritäts­politik. Die sich daraus ergebenden finanziellen Lasten hat das eigene Volk zu tragen. Hauptsache, der Wirtschaft geht es gut. Und als Griechenland wieder Kredite vom Markt bekommen konnte, sich also wieder neu verschuldete, wurde das als Beweis der Richtigkeit der Austeritätspolitik gefeiert.

Beispiele könnten beliebig weitergeführt werden. (Stichworte: Steuerpolitik oder Waffenexporte – alles Dinge, die nicht dem Volk dienen, sondern den wirtschaftlich und politisch Mächtigen.)

Die bürgerliche Demokratie erweist sich immer weniger als ein System der Volks­herrschaft und immer mehr als ein System der Herrschaft des Kapitals. Die Politik wird von den Interessen des Kapitals getrieben. Aber nicht aus Einsicht, sondern durch aktive Beeinflussung der politischen Entscheidungen durch Lobbyisten, Parteispenden, Korruption bis hin zu Erpressungen z. B. durch Androhung der Abwan­derung ins Ausland. An der Wahlurne haben der Bankpräsident oder die Chefs von Unternehmerverbänden die gleichen Rechte wie z. B. Arbeitslose oder Rentner, und das wird für die ganze Wahrheit ausgegeben. In Wirklichkeit stehen die Möglich­keiten der genannten Personengruppen, auf die Politik Einfluß zu nehmen, in direkter Rela­tion zu ihren jeweiligen Einkommens- bzw. Vermögensverhältnissen.

Die grundlegende Maxime allen Denkens und Handelns der in der BRD jeweils regierungsbildenden Parteien scheint zu sein: Stärkung der Wirtschaft mit allen Mitteln, die der Politik zur Verfügung stehen in dem (Irr-)Glauben, daß es dadurch dann dem Wahlvolk auch mal besser gehen kann – sofern dieses überhaupt die Kraft hat, sich solche Verbesserungen zu erkämpfen. Vor allem geht es auch darum, die deutsche Wirtschaft so zu stärken, daß dieses Land seinen Einfluß auf das interna­tionale Kräfteverhältnis behält.

Zur Zeit gelingt es den Herrschenden immer noch, vielen Menschen das Gefühl zu vermitteln, als seien sie zumindest indirekt an der Macht beteiligt. Dieser Glaube wird gehegt und gepflegt. Dazu werden Wahlschlachten inszeniert, und die Spannung um deren Ausgang wird angeheizt. Hinter den Kulissen agieren die wirklich Herrschen­den, die sich der Stimmen des Wahlvolkes bedienen, besser: die sie mißbrauchen.

Die Wahlen verkommen immer mehr zu einer Farce. Inhaltlich werden keine wirkli­chen politischen Alternativen zur Wahl gestellt. Vielmehr werden nichtssagende Allgemeinplätze verkündet wie Aufschwung, Zukunft, Gerechtigkeit usw., was zwischen den Parteien beliebig austauschbar ist. Und nach der Wahl kümmert sich keine der gewählten Parteien mehr um ihr „Geschwätz von gestern“. Sogar echter Wahlbetrug bleibt ungeahndet.

Ich erinnere daran, daß z. B. der spätere Verteidigungsminister Rudolph Scharping vor der Wahl versprochen hatte, der ehemalige Truppenübungsplatz Wittstocker Heide würde nicht mehr militärisch genutzt. Nach der Wahl wurde von ihm dann als Verteidigungsminister die Weiterführung der Bombardierung des Gebiets bestimmt. Er hat sich also die Wählerstimmen regelrecht erschwindelt, was aber zu keinerlei Konsequenzen führte.

Daß es sich heute in der BRD (und in anderen kapitalistischen Ländern ist es nicht anders) um eine Scheindemokratie handelt, beginnen immer mehr Menschen zu ahnen. Bei manchen Wahlen zeigen bereits mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten ihren Protest dadurch, daß sie erst gar nicht zur Wahl gehen. Ein deutliche Willens­bekundung, aber eine für das System ungefährliche. Gefährlicher wird es schon, wenn sich der Frust der Enttäuschten in radikalen Widerstandsformen äußert, wie z. B. der Teilnahme an Pegida-Aufmärschen oder der Wahl von Parteien wie NPD oder AfD. Nach außen fremden-, vor allem islamfeindlich, liegt die Ursache für das Aufkommen solcher Bewegungen bzw. Parteien auch in der Verbitterung über die Verhältnisse in diesem Lande: himmelschreiende soziale Ungerechtigkeiten, Ängste vor sozialer Ausgrenzung, Arbeitsplatzverlust, Altersarmut, „Lügenpresse“, Ohn­machtsgefühle gegenüber den Mächtigen im Staate. Das Versagen der Demokratie als einer den tatsächlichen Interessen der Menschen zugewandten bzw. von ihnen ausgehenden Politik wird nun Ausländern, insbesondere Islamisten angelastet. Das zeigt, daß die Saat des seit vielen Jahren geschürten Islamhasses aufgeht. Aber auch lauter werdende Forderungen nach einer direkten Demokratie entspringen der Erkenntnis, daß die etablierten Parteien nicht fähig oder nicht willens sind, die eigentlichen Probleme der Menschen anzupacken und zu lösen.

Eine besondere Tragik besteht nach meiner Auffassung vor allem darin, daß gerade eine Partei, die sich Die Linke nennt (also dazu berufen wäre, diese bürgerliche Demokratie als das zu entlarven, was sie ist, nämlich Herrschaft des Kapitals), sich darum bemüht, neben den anderen Parteien ein weiterer Sachwalter des Kapitals zu werden. Die Kehrseite dieser Medaille ist, daß auch Teile dieser Partei nicht müde werden, einzustimmen in den Chor der Verunglimpfung der DDR als Diktatur, Un­rechtsstaat usw.





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